Die deutsche Gesellschaft altert und in der Selbstbestimmung körperlich behinderter Menschen hat sich seit den achtziger Jahren viel getan. Der Bedarf an Menschen, die sich professionell mit den Wünschen und Lücken im Leben von körperlich behinderten Menschen auseinandersetzen, wird in den kommenden Jahren noch steigen. Der Dienstleister Ambulante Dienste e.V. in Münster entstand 1982 aus der Protestbewegung für die Gleichberechtigung behinderter Menschen. Seitdem hat sich viel getan, doch über das Berufsbild der Assistenz ist wenig bekannt.

Bericht: Dominik Irtenkauf, Fotos: Alina Strzempa

Dina Hamza, Eigentümerin des Second-Hand-Spielzeugwarengeschäfts Rumpelspielchen in Münster, lebt ihre Unabhängigkeit durch ein Team aus 10 Assistentinnen. Ohne diese Unterstützung sehe ihr Leben ganz anders aus. Sie ist auf Hilfe angewiesen, aber nicht völlig hilflos. Assistenten und Assistentinnen helfen dabei, den kurzen Arm der Kundin zu verlängern oder aber in der Mobilität zu unterstützen. Die selbstbewusste Rollstuhlfahrerin fordert von den jungen Frauen ein Talent für verschiedene Dinge. Assistentinnen im Alltag heißt immer auch, Allrounderinnen zu sein. „Es geht ja darum, die eigene Autonomie teilweise – und in meinem Leben immer mehr – durch eine zweite Person zu leben. Das ist erstmal eine besondere Situation. Ich bin in eine Kultur hinein gewachsen, in der man das Leben mit eigenen Bewegungsmöglichkeiten wahrnimmt. Und wenn das durch eigene Bewegungsmöglichkeiten nicht geht, dann fühlt sich das passiv an, nicht gestaltend. Durch das Modell Assistenz werden mir mehr Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt.“ Der intensive Dialog mit ihren Assistentinnen ist wesentlich für eine gelingende Hilfestellung im Alltag – zum Beispiel, wenn Dina Hamza am Morgen aus dem Bett aufstehen möchte. Es erfolgt eine Einarbeitung, bei der learning by doing das pflegerische Handwerk beigebracht wird. Ist die Assistenz also ambulante Pflege mit größerer Zeiteinteilung? Nein. Pflegerische Handgriffe sind nicht ausreichend, um Dina Hamzas Alltag mitgestalten zu können.

Sie konkretisiert die Anforderungen: „Es gibt zum Beispiel auch Assistentinnen, die nur im Laden sind: Britta und Amira zum Beispiel. Das finde ich wichtig für die Kundschaft hier im Laden. Als Ansprechpartnerinnen. Dann gibt es welche, die nur zu Hause sind. Da es den Begriff nicht gibt, macht sich jeder selbst ein Berufsbild. Ich würde ja auch alles als Assistenz beschreiben. Also, die Assistentin, die mir aufs Klo hilft oder mich wäscht, die macht dann zwar Pflege, aber es ist ja trotzdem eine Assistenz.“ Ein Großteil der Assistentinnen hat kein Pflege-Examen abgeschlossen, und doch ist für die gelingende Zusammenarbeit mit der „Kundin“, wie die Assistenznehmerin genannt wird, eine Vielzahl an Kompetenzen notwendig. „Zuverlässigkeit. Kommunikationsbereitschaft. Lust auf engen Kontakt. Kommunikation gehört auf jeden Fall dazu, auch um vielleicht nochmals eigenes Verhalten zu reflektieren“, ergänzt Britta G., die seit gut 10 Jahren bei Dina arbeitet. Ohne Assistenz würde das Spielzeuggeschäft am Hansaring – Rumpelspielchen – nicht laufen können. Die Assistentinnen registrieren die eingehenden Second-Hand-Artikel und bereiten sie zum Verkauf vor. Dabei verändern sich auch die Aufgabenfelder. „Ich muss das erst noch lernen: wie gehe ich meine Wünsche an? Wie versprachliche ich das, ohne dass es zum Befehl wird?“ Jeden Monat findet eine Supervisions-Runde statt. Dort treffen sich Assistenznehmer und Assistenznehmerinnen, um Probleme mit ihren Teams durchzusprechen. „Es geht darum, Lösungen innerhalb des Systems Assistentin – Assistenznehmerin zu finden oder kann es eine Problemlösung im Verhältnis Assistenznehmerin – Ambulante Dienste geben? In der Supervision geht es auch ein wenig darum, herauszuarbeiten, wo liegen die Probleme oder wo könnte man ansetzen, um die Probleme zu lösen.“

Probleme gab es bislang nur wenige, zum Beispiel als eine Assistentin, die zugleich eine gute Freundin war, noch länger in der Kneipe bleiben wollte und Dina Hamza eigentlich ins Bett gebracht werden sollte. Vereinbart war 23 Uhr Einsatzbeginn. Doch im Dialog lassen sich diese Probleme leicht lösen. Die Assistenznehmerin ergänzt noch: „Ein Assistent sollte schon als ganze Person anwesend sein, aber viele Teile auch zurückzunehmen, sie nicht auslassen, aber zurücknehmen. Eine gewisse Form der Bedürfnisbefriedigung während der Arbeit ist einfach nicht richtig möglich. Selbst wenn ich traurig bin, nehme ich mich zurück. Das finde ich auch eine ganz schöne Beschreibung für Assistenz.“

Der Spagat zwischen professioneller Distanz und persönlicher Nähe ist nicht einfach, aber notwendig. Es gibt immer wieder Situationen, die neu verhandelt werden müssen. Etwa, wenn man gemeinsam in Urlaub fährt. Für die Assistenznehmerin bedeutet es Freizeit, für die Assistentin ist es jedoch Arbeit. Die Gratwanderung stellt eine Herausforderung dar. Jeder Tag zeigt neue Aufgaben. Langweilig wird es so schnell nicht. Ein Beruf für junge Menschen, die sich flexibel auf neue Situationen einstellen können, die auf Menschen zugehen. Mit dem Menschsein wachsen wollen.

Bericht: Dominik Irtenkauf, Fotos: Alina Strzempa

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